Nachlese message.TALKS: Do., 19.10.2023
La Gacilly in Baden – oder wie Kunst zum Markenbotschafter einer Stadt wird.
In unseren Herbst-Talks sprachen wir mit Lois Lammerhuber, Fotograf und Direktor des La Gacilly Festivals in Baden und Klaus Lorenz, dem Tourismusdirektor der Stadt Baden, über die größte Freiluft-Fotoaustellung Europas.
Lois Lammerhuber wurde bereits mehrfach zum weltbesten Fotografen gekürt und erhielt weit über 200 Preise und Auszeichnungen für seine künstlerische Arbeit. Er hat über 1.000 Fotoreportagen und an die 250 Geo-Reportagen gemacht und etwa 84 Bildband-Produktionen im Verlag Edition Lammerhuber veröffentlicht. Vor sieben Jahren gründete er den Global Peace Photography Award und seit 2018 verantwortet er als Direktor das La Gacilly Fotofestival in Baden. Die Vita von Lois geht nicht nur runter wie Öl, sie ist auch mehr als nur faszinierend. Umso mehr freut es uns, dass sich Lois gemeinsam mit Klaus Lorenz, Tourismusdirektor der Stadt Baden, Zeit genommen haben, mit uns darüber zu sprechen, welchen Beitrag Kunst- und Kulturevents zur Markenbildung einer Stadt leisten können.
Mit dem Open-Air-Fotofestival La Gacilly ist es Baden in beeindruckender Weise gelungen, ein internationales Publikum anzuziehen und das Event weit über die Landesgrenzen bekannt zu machen. Über die Jahre avancierte das Festival zu Europas größter und bedeutendster Freiluft-Fotoausstellung und ist damit sicherlich ein Best-Practice-Beispiel dafür, welche internationale Strahlkraft Events für das Image einer Stadt haben können.
Wir haben für Sie die wichtigsten Aspekte und zentralen Fragen unseres message.TALKS zusammengefasst.
Was war die Intention dahinter, das La Gacilly Fotofestival von Frankreich nach Österreich zu holen?
Die Zusammenarbeit mit Jacques Rocher begann 2018 aus einem glücklichen Zufall heraus. Als langjähriger Freund von Rocher wurde Lois mehrfach eingeladen, sich die Fotoausstellung in der namensgebenden Kleinstadt anzusehen, doch kam immer wieder etwas dazwischen. Als sich Rocher schließlich dazu entschloss, einen Bildband im Verlag Lammerhuber zu veröffentlichen, der in La Gacilly präsentiert werden sollte, schaffte es auch Lois in die Kleinstadt. Fasziniert von den riesigen Installationen und der Inszenierung der gesamten Stadt, war der Beschluss schnell gefasst, das Fotofestival auch nach Baden zu bringen. Nachdem Festivals allerdings ortsfest sind, suchte man nach einem Grund, wie und warum La Gacilly auch andernorts funktionieren kann.
Hier kam die Ost-West-Dimension hinzu, denn das Fotofestival verfolgt in erster Linie eine humanistische Themensetzung. Die Dokumentarfotografie steht hier im Vordergrund und die beiden Austragungsorte sind wie Medienwächter. Mit einem theoretischen Fotofestival in der Tasche, machte sich Lois auf die Suche nach einer geeigneten Stadt, um das Projekt umzusetzen. Diese fand er in seiner Heimatstadt Baden, die gerade einen fliegenden Wechsel in der Stadtpolitik erlebte. Der neue Bürgermeister Stefan Szirucsek entpuppte sich als frankophil und war von Anfang an begeistert von der Idee. Es folgte ein gemeinsamer Ausflug nach La Gacilly, ein kurzes Telefonat mit Jacques Rocher und eine Einladung an ihn mit seinem Team nach Baden zu kommen. Der Rest ist Geschichte.
Wie konnte der Bürgermeister von der künstlerischen Intervention in der gesamten Stadt überzeugt werden?
Die Überzeugung des Bürgermeisters Stefan Szirucsek, für das Projekt resultierte vermutlich aus seinem Wunsch, neue Impulse in die Stadt zu bringen sowie aus seiner humanistischen Grundausrichtung. Trotz politischer Kontroversen um die doch sehr schwere Thematik, sah Szirucsek die Bedeutung des Fotofestivals, das grundsätzlich zwei Erzählstränge bedient: die conditio humana in den verschiedenen Regionen der Welt sowie den Zustand unseres Planeten. Mit der Zeit kam noch ein dritter Erzählstrang hinzu, die österreichische Fotografie. Dem Bürgermeister rechnet Lois hoch an, dass er den Mut gehabt hat, die Stadt gegenüber dem modernsten Medium der Fotografie zu öffnen.
Eine wichtige Rolle spielte auch der Tourismusdirektor Klaus Lorenz, der mit sehr vielen, innovativen Events die Stadt massiv aufmischte und unglaublich belebte. La Gacilly bringt auch einen stabilisierenden Faktor mit sich. Das Fotofestival findet jedes Jahr über vier Monate im Sommer statt. Zu dieser Konstante gesellen sich auch andere Veranstaltungen von Baden in Weiß bis zu Rockkonzerten. Manchmal kommen sich die einzelnen Events kalendarisch auch ein wenig in die Quere. In den letzten Jahren hat sich viel getan. Baden hat einen kulturellen Wandel erlebt, der zunehmend Besucher*innen anzieht. Dieser Game Change innerhalb so kurzer Zeit ist durchaus beachtlich.
Wie gut passt das Fotofestival zum neuen, modernen Image der Kurstadt?
Klaus Lorenz erinnert sich an seine Jugend zurück, als Baden als altbacken galt. Die Stadt war zu Tode beruhigt, man hatte mit einer steigenden Anzahl von Leerständen zu kämpfen. Aus dieser Notwendigkeit heraus unternahm man strategische Überlegungen, wie man die Stadt lebendiger werden lassen kann. Eventmarketing war hier eine Möglichkeit, die Stadt neu zu positionieren. Man stellte also Überlegungen an, welche Events zur Stadtmarke passen und die Markenkriterien erfüllen. Als Entscheidungshilfe dafür dient der Markenkompass Badens. Es wird darauf geachtet, dass alle Aktivitäten, die die Stadt Baden unternimmt, in dieses Markensteuerrad passen. Das Fotofestival La Gacilly ist das Highlight, das I-Tüpfelchen, das die Gesamtstrategie der Stadt auch international positioniert. Es gab davor auch andere Veranstaltungen, wie z.B. das Beachvolleyball-Tourniert und viele kleinere Events. Das Fotofestival ist letztlich das krönende Element, das Baden bei der Positionierung der Marke in eine ganz andere Dimension gebracht hat – Dank des Visionärs Lammerhuber.
Eine Strategie zu haben ist das eine. Das Glück, einen international renommierten Fotografen zu haben, der solch ein Event auf die Beine stellt, ist das andere. Doch es gab weitere glückliche Umstände, die Baden in den letzten Jahren zu dieser Aufwertung verholfen haben: die Ernennung zum Weltkulturerbe. Man muss dazu sagen, dass die Stadt historisch bedingt diese Substanz auch mitbringt – all die schönen Gebäude, das Casino, die beiden Stadttheater. Sie kosten aber auch in der Erhaltung.
Was zeichnet den Erfolg von La Gacilly aus?
Den Erfolg des Fotofestivals erklärt sich Lois vor allem aufgrund der gesellschaftlichen Relevanz der Bilder, die gezeigt werden. Wären es schlicht ästhetisch ansprechende Fotos, würde das Format wohl noch ein paar Saisonen weiterlaufen, bis es letztlich an Bedeutung verliert. Wenn die Substanz weg ist, dann sind auch die Medien und mit der Zeit auch die Besucher*innen weg.
Ein zweiter wesentlicher Faktor für den Erfolg des Festivals ist die Einbeziehung des öffentlichen Raumes. Es gibt einen Stadt- und einen Parkweg. Die gesamte Stadt wird zur Ausstellungsfläche und damit für den Besucher bzw. die Besucherin erlebbar. Man flaniert durch die Stadt, während man sich geistig mit sehr schwierigen Themen auseinandersetzt. Was hier im öffentlichen Raum passiert, wäre in einem Museum nicht denkbar und auch nicht leistbar. Es ist schwer vorstellbar, sich an einem Tag 1500 Bilder in ein Museum anzusehen.
Der Outdoor-Aspekt ist hier ganz entscheidend. Es ist eine 24/7-Ausstellung, die allen offen steht. Es gibt kein Drehkreuz und daher auch keine direkten Einnahmen aus dem Kartenerlös. Der Mix zwischen dem, was die öffentliche Hand beitragen muss und dem, was über Sponsoring hereingeholt werden kann, steht in einem kritischen Verhältnis.
Wie drückt sich der Erfolg in Zahlen aus?
Das Festival zieht pro Saison an die 250.000 bis 300.000 Besucher*innen aus dem In- und Ausland an. Es gibt hochfrequente Tage, an denen sich bis zu 9.000 Personen im Kurpark tummeln – Silvesterfeeling pur. Mit der Besucherstrom-Analysen wurde eine deutsche Agentur beauftragt, die anhand der IP-Adressen die Anzahl und Region der Besucher*innen bestimmen kann. Als Parameter wurde eine Verweildauer von mindestens zwei Stunden gesetzt. Das heißt, alles darunter wird gar nicht gemessen.
Klaus Lorenz betont, dass neben den Besucherströmen natürlich auch der Werbewert interessant ist und das sind immerhin an die 6 Millionen Euro. Vermutlich sogar etwas mehr. Das Festival ist vor allem in deutschen Medien gut vertreten, wie der Zeit oder der Frankfurter Allgemeinen. Aber auch Fernsehstationen, wie Arte oder Al Jazeera berichten über das Festival. Das zeigt, welche internationale Strahlkraft das Festival hat.
Die Wertschöpfung der Unternehmer*innen, die sich durch die Tagestourist*innen und Nächtigungsgäste ergibt, liegt bei ungefähr 7,6 Millionen Euro. Eine Zahl, die auch subjektiv von den Geschäftstreibenden bestätigt wird.
Wie hoch sind die Produktionskosten und wie lange dauert der Aufbau der Ausstellung?
Würde man eine Vollkostenrechnung machen, landet man in etwa bei 2,5 Millionen Euro Finanzbedarf in Cash. Momentan stehen 1 Million Euro unbare Leistungen ca. 800.000 Euro bare Leistungen gegenüber. Und das ist knapp berechnet. Ähnlichen Festivals im Ausland steht ein Budget von 3 bis 8 Million Euro zur Verfügung und natürlich viel mehr Personal. Das Kernteam in Baden besteht aus 5 Personen, hinzu kommt noch die Manpower der Stadt – der Bauhof und die Stadtgartendirektion. Dieser beginnt drei bis vier Wochen vor dem Start des Festivals mit dem Aufbau. Es würde vermutlich auch etwas schneller gehen, tatsächlich kommen aber andere Projekte dazwischen und man ist auch von der Wetterlage abhängig.
Für die knappe Million Bargeld, die benötigt wird, braucht es ungefähr 90 Unterstützer*innen, also 300 Firmenkontakte pro Jahr. Diese zu Kontaktieren ist eine ziemliche Knochenarbeit. Zudem haben sich auch die Compliance-Regeln geändert. Selbst für einen kleinen Betrag, der früher als Spende galt, braucht es heutzutage einen Vertrag. Die Verträge werden dicker und der Aufwand steigt von Jahr zu Jahr. Bei so einer großen Menge an Kontakten braucht es natürlich auch Planungssicherheit von Seiten der Stadt- und Landespolitik und das ist gar nicht so leicht.
Wie nachhaltig ist La Gacilly aufgestellt? Wäre ein Fotofestival ohne Lammerhuber möglich?
Grundsätzlich schon, da es Leute gäbe, die dasselbe Netzwerk bedienen können. In der speziellen Situation eher nicht. Dazu müssten die Parameter verschoben werden. Momentan ist es so, dass der Verlag Edition Lammerhuber bei Ausfall haftet. Wenn das Budget beispielsweise nicht reicht, dann wird der Rest über den Verlag dazu geschossen. Man wird schwer jemanden finden, der sechs Jahre ehrenamtlich arbeitet, zweidrittel des Budgets auftreibt und auch noch das Marketing macht. Wohlgemerkt das Marketingbudget ist gleich null. Es ist der gebotene Content, der die Medien anlockt.
Auch Klaus Lorenz ist der Überzeugung, dass es ein ganz großer Verlust für die Stadt wäre, wenn das Festival nicht mehr stattfinden würde. Daher gibt es natürlich auch Überlegungen, wie man Lois hier noch besser unterstützen kann. Ein Baden ohne Fotofestival ist heute kaum mehr vorstellbar. Schon alleine, wenn es 80% Zustimmungsrate in der Bevölkerung gibt. Keine andere Veranstaltung der Stadt weist so eine Zustimmung auf.
Wie können Events zu Markenbotschafter einer Stadt werden und wie lassen sich Markenbotschafter*innen gezielt aufbauen?
Karl Hintermeier fasst hier die wesentlichen Erfolgsfaktoren in der Markenführung zusammen. Ein entscheidender Faktor ist die Notwendigkeit eines Markenkompasses und einer klaren Markenpositionierung, um zu wissen, welche Richtung im Stadtmarketing und in der Kommunikation eingeschlagen werden soll. Nicht jedes reichweitenstarke Event ist automatisch auch gut für die Marke. Das GTI Treffen am Faaker See ist hierfür ein gutes Negativ-Beispiel.
La Gacelly zeigt auch, wie man als Stadt erfolgreich Storydoing betreiben kann, anstatt bloßes Storytelling. Das Festival schafft es, wie kaum ein anderes, die Stadt tatsächlich erlebbar zu machen. Die thematische Relevanz und das Denken im großen Maßstab sind ebenfalls entscheidend für den Erfolg eines Events. Bloßes Mittelmaß reicht nicht aus, um Relevanz zu erzeugen.
Nachdem nicht jede Stadt einen weltberühmten Fotografen hat, stellt sich die berechtigte Frage, wie man als Stadt solche Markenbotschafter*innen gewinnen kann. Hierfür sind natürlich gezielte Bemühungen der Stadt erforderlich, um den Austausch und Dialog mit relevanten Personen zu fördern. In der Stadtgemeinde Neulengbach ist das mit dem Kultursommer sehr gut gelungen. Auf Einladung der Kulturstadträtin versammelten sich im Corona-Jahr die Kulturschaffenden, um gemeinsam an einem Konzept für Sommerevents zu arbeiten.
Last but not least bedarf es natürlich auch einer Professionalisierung im Marketing und der Organisation, um den Erfolg eines Events zu sichern. Das Lammerhuber hier beides vereint, ist natürlich ein großes Glück.
Wie kann man Bewohner*innen davon überzeugen, dass ein bestimmtes Bild auf ihre Hausfassade kommt?
Die Überzeugungsarbeit bei den Bewohner*innen beschreibt Lois als die höchste Form des Klinkenputzens. Er nimmt die Leute in den Arm und überzeugt sie mit maximalen Charme, ihm ihre Hausfassade zu überlassen. Dabei stellt er von Anfang an klar, dass er nicht dafür garantieren kann, welches Bild an die Fassade kommt. Es wird versucht, prioritär Gebäude zu nehmen, die der Stadtgemeinde gehören.
In den letzten Jahren konnte man hier ein Vertrauen in der Bevölkerung aufbauen. Sodass ihn mittlerweile die Badner*innen bereits im Frühjahr darauf ansprechen, welches Thema das Fotofestival in diesem Jahr haben wird.
Das war nicht immer so. Lois erinnert sich an die erste Ausstellung zum Thema Afrika. Diese war in Frankreich natürlich kein Problem, da die Menschen dort aufgrund ihrer kolonialen Vergangenheit sensibilisiert sind. In Baden gab es vor der Ausstellung aber durchaus Vorbehalte. Selbstverständlich ist solch eine Open-Air-Fotoausstellung schon eine gewaltige Intervention im öffentlichen Raum, die die Stadt für vier Monate verändert. Mittlerweile freuen sich die Leute aber darauf. Es ist fast so, als ob sich Baden darauf vorbereitet, sich mit einem bunten Sommerkleid zu schmücken – das jedes Jahr ganz anders ist.
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