Auf dem Weg zur klimaneutralen Stadt - message
Am Weg zur klimaneutralen Stadt Ansicht von Hochhäusern bei Sonnenaufgang davor sind Solarpanele zu sehen
NACHLESE MESSAGE.TALKS: Fr., 28.4.2023

Auf dem Weg zur klimaneutralen Stadt

Im Gespräch: Mag. Bernd Vogl, Geschäftsführer Klima- und Energiefonds


Klimaneutrale Stadt Vortragender Bernd VoglMag. Bernd Vogl ist seit Anfang 2023 Geschäftsführer des Klima- und Energiefonds. Davor war er 11 Jahre lang Leiter der  Energieplanungsabteilung der Stadt Wien. Seiner Hartnäckigkeit ist es zu verdanken, dass die Stadt Wien eine echte Smart-City-Strategie und einen Klimafahrplan hat. Er ist seit 30 Jahren im Klima- und Energiebereich tätig und gilt als ausgewiesener Energieexperte. Mit Karl Hintermeier verbindet Bernd eine langjährige Freundschaft. Sie haben beide Betriebswirtschaft studiert und sich bereits in ihrer Studienzeit fest vorgenommen, keine Zahnpasta zu verkaufen und etwas gegen den Klimawandel und die Umweltzerstörung zu unternehmen. Das ist auch beiden in unterschiedlicher Weise gelungen. Wir freuen uns sehr, dass Bernd trotz vollem Terminkalender, Zeit gefunden hat, um mit uns gemeinsam über die wichtigsten Stellhebel, klimapolitischen Trends und aktuellen Förderprogramme zu sprechen.

Wir haben für Sie die zentralen Fragen des message.TALKS zusammengefasst. Das ganze Gespräch können Sie hier nach hören.

Wie sieht das Energiesystem der Zukunft aus?

Momentan lebt mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung in Städten – Tendenz steigend. Städte nehmen dabei ungefähr zwei Prozent der Erdoberfläche ein, und schon jetzt haben wir dort bei weitem die meisten CO2-Emissionen. Das heißt, Maßnahmen, die in Städten in Richtung Klimaneutralität umgesetzt werden, sind ein wesentlicher Faktor beim Erreichen der globalen Klimaziele.

Blicken wir weltweit auf erneuerbare Energiequellen, so können zwei wesentliche Potenziale identifiziert werden: Sonne und Wind. Das sind die Energiequellen der Zukunft. Ungefähr 70% des Weltenergieverbrauchs wird in Zukunft durch Sonnenenergie gedeckt werden. Das Problem liegt nicht in der Energieproduktion, sondern an der Speicherung und der Transportmöglichkeit. Wir benötigen sehr schnell sehr viele Photovoltaikzellen, Speicher und Windräder.

Haben wir die notwendigen Flächen für erneuerbare Energie?

Um die gesamte Energie für Fabriken, Flugzeuge, Haushalte etc. zu erzeugen, benötigen wir ungefähr ein bis eineinhalb Prozent der Erdoberfläche. Zählt man gewisse Verluste – etwa durch Transport oder Wasserstoffproduktion – hinzu, ist die Fläche vielleicht drei- bis viermal so groß. Fläche ist ausreichend vorhanden, vor allem wenn hierfür ungenützte Flächen verwendet werden, wie etwa die Sahara. Allerdings wäre der Energietransport dann ziemlich aufwendig und sehr teuer.

Um den Flächenbedarf besser zu veranschaulichen, hilft ein Blick auf unser gegenwärtiges Ernährungssystem. Für Ackerflächen benötigen wir ungefähr 10% der Erdoberfläche. Das Interessante dabei ist, dass davon 75% für die Herstellung von Futtermittel für die Fleischproduktion verwendet werden. Das bedeutet, dass 7,5 % der Erdoberfläche für eine energetisch sehr ineffiziente Ernährungsweise verschwendet werden.

Wie kann die Vision der Energiebereitstellung in kleineren Städten aussehen?

Im Rahmen der Energieplanung der Stadt Wien wurde überlegt, welche erneuerbaren Quellen sich direkt in der Stadt erschließen lassen. In erster Linie ist es Sonnenenergie, da es viele geeignete Dachflächen gibt. Dann gibt es noch Geothermie – hier wird ein tolles Projekt gerade durch die Wien Energie umgesetzt, mit dem Ziel, die Fernwärme teilweise aus erneuerbarer Energie bereitzustellen. Was es in einer Stadt auch noch gibt, ist Abwärme aus Betrieben, Luft und Wasser, die als alternative Quellen dienen können. Die Schweiz hat beispielsweise damit begonnen, Seen für die Bereitstellung von Wärme und Kälte zu nutzen; auch in Bregenz baut man gerade an einer Anlage. Bei Oberflächengewässern, genauso wie bei Erde, ist immer darauf zu achten, dass mehr Wärme als Kälte entzogen wird. Mit dem Klimawandel werden die Flüsse und Seen immer wärmer; entzieht man ihnen Wärme, werden sie dadurch auch wieder ökologischer.

Wien setzt auf Photovoltaik

In Wien ist Photovoltaik der wichtigste Energieträger. Bei Infrastrukturprojekten muss das auch mitbedacht werden, indem man z.B. Kläranlagen in den Gemeinden auch mit einer Photovoltaikanlage ausstattet. Auch Lärmschutzwände können mit PV-Zellen verkleidet werden. Es gibt also ein riesiges Potenzial, wenn man es schafft, die Flächen in einer Stadt richtig zu nutzen. So können wir sehr viel im eigenen Land produzieren, was uns langfristig wirtschaftlich unabhängiger machen und günstige Energie bieten würde. Und zudem weniger krisenanfällig.

Eine Stadt wie Wien wird allerdings nie 100% der Energie, die sie verbraucht, auch erzeugen können. Einen gewissen Import wird es hier immer geben. Gemäß dem Nachhaltigkeitsprinzip wären die nächsten Schritte: zunächst Energie aus der Region gewinnen (beispielsweise über Windräder), und danach der Einkauf von grünen Gasen, grünem Wasserstoff vom internationalen Markt.

Wie schaffen wir es als Stadt, bis 2040 klimaneutral zu werden? Sind reine Absichtserklärungen zu wenig?

Eine Strategie zu haben ist wichtig. Noch viel wichtiger ist es allerdings, dass diese ganz weit oben verortet ist – also beim Bürgermeister, der Bürgermeisterin – und dass man schnell ins Handeln kommt, statt lang zu diskutieren. Auch die Fossilindustrie muss erkennen, dass der Umstieg auf erneuerbare Energie eine Chance und Investition in die Zukunft ist.

Wir brauchen auch Kooperation und Zusammenarbeit. Hier der Klimafonds als Plattform, die unterschiedliche Akteur*innen zusammenbringt und innovative Ideen pusht, eine wichtige Rolle. Kleinere Städte werden über den KLIEN bei der Ausarbeitung ihrer profunden Klimastrategie unterstützt. Die wichtigsten Handlungsfelder, wo Städte aktiv werden können, sind der Ausbau von Photovoltaik und die Wärmeversorgung. Viele andere Dinge werden überregional entschieden, z.B. Bahnstrecken oder Infrastruktur für Elektromobilität.

Welcher Themenfelder müssen sich Städte annehmen, wenn sie klimaneutral werden wollen?

Der Klimafahrplan der Stadt Wien gibt da eine ganz gute Richtung vor. Wenn man klimaneutral werden will, sind Gebäude, die Energieproduktion, aktive Mobilität – Rad fahren und zu Fuß gehen – und natürlich die Beteiligung von Bürger*innen die großen Themenfelder. In Wien wurde beispielsweise das Klimateam aufgebaut, wo es darum geht, die Bevölkerung in Entscheidungsprozesse mitzunehmen. Nur über die Einbindung werden wir es schaffen, dass auch eine breite Bevölkerung diesen großen Veränderungsprozess mitträgt.

Warum ist Bürger*innen-Beteiligung so wichtig?

Oftmals wird in Gemeinden über den Aufbau eines Windrads heftig diskutiert. Durch die Einbindung der Bevölkerung können sich solche Einstellungen allerdings ändern. Ganz wesentlich dabei ist, dass Menschen das Gefühl bekommen, auch einen Vorteil zu haben. Über Energiegemeinschaften bezieht man beispielsweise günstigeren Strom für sein Gebäude. Durch die Einbindung der Menschen, befassen sich diese näher mit dem Thema und erkennen: Im Grunde geht es darum, dass wir alle gemeinsam gut leben. Dieses Ziel muss auch kommuniziert werden. Das ist Aufgabe des Stadtmarketings. So schaffen wir es auch, dass Leute nicht immer gleich in den Urlaub fliegen, sondern das Angebot in der Region genießen. Damit ist es auch kein Verzicht, sondern gesteigerte Lebensqualität.

Wie sieht es mit Energiegemeinschaften aus?

Hier passiert gerade sehr viel Positives. Von der EU wurden rechtliche Rahmenbedingungen für Erneuerbare-Energie-Gemeinschaften geschaffen. Es geht dabei auch um eine riesige Systemumstellung – nicht nur für Netzbetreiber. Es braucht Systeme für die Abrechnung, eine gute, skalierbare Infrastruktur: vielleicht will man in Zukunft seinen Nachbar*innen auch direkt Strom liefern können.

Welche wesentlichen Hilfestellungen bietet der Klima- und Energiefonds für Kommunen?

Die wichtigste Aufgabe des Klimafonds ist es, Kapazitäten zu schaffen, die Städte und Gemeinden bei diesem sehr komplexen Thema unterstützen. Die Klima- und Energie-Modellregion-Manager stehen den Gemeinden zur Verfügung, wenn diese Klimaschutzmaßnahmen umsetzen wollen. Diese Manager werden vom KLIEN mit den nötigen Informationen versorgt. In Österreich gibt es sehr viele Möglichkeiten und Unterstützungen für Projekte, wie etwa die Umweltförderung. Die Klima- und Energie-Modellregion-Manager sind hier die Mittler zwischen den ganzen Förderungen, den Gemeinden und den verschiedenen Akteuren. Der KLIEN bietet eine Plattform der Zusammenarbeit und des Austausches, da das System technisch sehr komplex ist, ebenso wie die Förderungen.

Angedacht ist auch, die Gemeinde bei ihrer Energieraumplanung zu unterstützen. Hier geht es darum herauszufinden, wo die Fernwärmeversorgung in einer Stadt möglich ist und wo nicht. Dort wo es geht, kann man auf Fernwärme umstellen, und dort wo es nicht geht, greift man auf andere Lösungen zurück, die auf Wärmepumpen basieren. Man braucht als Gemeinde aber in erster Linie einen Plan, um auf die richtigen Mittel der Umweltförderung zurückgreifen. Hier hilft der Klima- und Energiefonds mit Informationen und Kapazitäten, damit die Gemeinden, aber auch Unternehmen investieren können.

An welchen Städten kann man sich als kleinere Stadt orientieren?

In der Energieplanung sind die Schweizer Städte sehr gut aufgestellt. Hier kann man eine Stadt als Partner suchen, die in etwa der eigenen Größe entspricht. Für Wien wurde die Energieplanung von Zürich zum Vorbild genommen. In der Schweiz ist Energieplanung auf der nationalen Ebene eingehängt. Gemeinden haben dadurch quasi eine Verpflichtung zur Energieplanung.

In Österreich ist Bregenz ein Vorreiter. Für die Fernwärmeversorgung wird hier das Seewasser genutzt. Wenn man Fernwärmeversorgung heute neu denkt, dann gibt es neben Biomasse noch tiefe Geothermie und Gewässer, denen man Wärme und Kälte entziehen kann. Gewässer sind mächtige Energieträger. Für die Donau wurde berechnet: wenn man der gesamten Wassermenge 1 Grad entzieht, kann man ganz Wien damit heizen. Auch die Stadt Tulln hat mit ihrem eigenen Energieunternehmen Tulln Energie Vorbildwirkung. Regionaler Strom hat nicht nur Begeisterungskraft, sondern man ist auch stolz auf die eigene Stadt, die eigene Region. Zum Vorbild kann man sich auch das E5 Netzwerk nehmen, das sich von Vorarlberg aus ausgebreitet hat.

Der Klima- und Energiefonds will zukünftig solche Informationen über Best-Practice-Beispiele sowie Austauschformate wie Themenexkursionen auch für kleinere Städte anbieten. Diese haben es im Vergleich zu größeren Städten mit jeweiligen Fachabteilungen deutlich schwerer, Informationen aufzubereiten.

Wir bedanken uns herzlich bei Bernd Vogel für das interessante Gespräch. Die Präsentationsfolien zum Download gibt es hier.